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06.01.2023

Loslassen schafft Raum für Neues

Herbst und Winter bringen in unseren Breitengraden eine eindrückliche
Veränderung der Natur mit sich. Seit jeher werden deshalb die längeren Nächte
und kürzeren Tage und das Abfallen des Laubes von den Bäumen mit kulturellen
und religiösen Gedenkfeiern und Ritualen assoziiert. Das Absterben von Blättern
und Pflanzen, die kahl zurückbleibenden Äste und Zweige und die Stille, die sich
über die Landschaften legt, konfrontieren uns mit der Vergänglichkeit allen Lebens
– auch unseres eigenen.
Das große Loslassen in der Natur steht aber nicht nur für Endlichkeit und Tod, es
birgt auch das Potenzial für einen grundlegenden Neubeginn. Das Wissen darum,
dass Leben von einem ständigen Wandlungsprozess bestimmt ist, ist einerseits
ein großer Trost, andererseits vielleicht aber auch die größte Herausforderung in
unserem geistigen und spirituellen Wachstum. Denn obwohl Loslassen so viel
weniger Kraft kostet als Festhalten, tun wir uns oft so unsagbar schwer damit.
Das wird uns besonders bewusst, wenn wir einen geliebten Menschen gehen
lassen müssen, der im Sterben liegt oder der durch ein plötzliches und völlig
unerwartetes Ereignis aus unserem Leben gerissen wird. Wie schmerzlich
Loslassen-Müssen sein kann, merken manche Eltern, wenn ihre Kinder sich
aufmachen, ihre eigenen Wege zu gehen. Wie weh es tun kann, wenn sich
jemand von uns abwendet, spüren wir in partnerschaftlichen Beziehungen oder
auch Freundschaften, die nicht mehr tragfähig sind.
Doch die Natur zeigt uns, dass die Zeit des Loslassens und Absterbens, also
Herbst und Winter, nötig ist, damit im Frühjahr neues Leben kraftvoll und
verheißungsvoll aufblühen kann. Diesen Wandlungsprozess können wir nicht
stoppen. Vielmehr ist es eine gute Übung, die unterschiedliche Qualität der
Jahreszeiten bewusst zu spüren und mitzuerleben. Das ist nicht immer so leicht
wie es sich liest, und auch davon abhängig, welcher Typ wir sind, welche
Vorlieben wir haben. Manche genießen Sonne und 30 Grad, andere können es
nicht erwarten, bis es das erste Mal schneit. Der eine fällt bei heißen
Temperaturen in eine regelrechte Lethargie, ein anderer an kalten, trüben
Wintertagen in Depression.
Wir können aber auch noch in einem anderen Prozess, der nach außen hin viel
unspektakulärer ist, erfahren, dass Leben ein Kommen und Gehen, ein
Empfangen und Loslassen ist. Ohne diesen Wandlungsprozess könnten wir gar
nicht existieren. Es ist unser Atem.
Wir atmen „automatisch“, meist unbewusst, solange wir uns weitgehend
wohlfühlen und gut „bei uns“ sind. Aber sobald etwas passiert, was uns erschreckt
oder aus einem gewohnten Ablauf wirft, stockt uns der Atem, flacht er ab oder ist
über einen längeren Zeitraum blockiert. Manche Menschen üben, den Atem
möglichst lange anzuhalten, Extremtaucher zum Beispiel. Aber auch dieses Üben
hat seine Grenze. Ohne unseren Atemfluss können wir nicht leben. Wir können
eine Weile die Luft anhalten, aber wir sterben, wenn wir über eine bestimmte

Zeitspanne hinaus keinen Sauerstoff mehr bekommen.
So, wie wir unseren Atem nicht festhalten können, gibt es auch im Leben nichts
und niemanden festzuhalten. So wie eine Ozeanwelle immer im Fließen ist ohne
Anfang und Ende, so ist auch unser Leben immer in Bewegung. Das (innere) Bild
einer Welle ist ein anschauliches und hilfreiches Symbol, wenn wir uns im
Loslassen üben wollen.
Viele Menschen halten fest an Vergangenem, und ihr Denken funktioniert dabei
wie ein Fotoalbum, in dem sie die Bilder von früheren Ereignissen „eingeklebt“
haben und immer wieder anschauen. Das gilt für schöne oder schmerzliche
Erfahrungen gleichermaßen. Doch beide wollen losgelassen werden, damit wir
unsere Aufmerksamkeit und Kraft für die Gegenwart haben und für die Dinge, die
hier und heute zu meistern sind.
Die folgende Übung kann uns dabei helfen: Wir können uns an einem für uns
guten und ruhigen Ort hinstellen, setzen oder legen und tiefer atmen, als wir es
üblicherweise tun. Während wir versuchen, den Aus-Atem etwas länger fließen zu
lassen als den Ein-Atem, können wir uns Situationen unseres Lebens vor
unserem inneren Auge vorstellen. Wir können mit jedem Aus-Atem durch alle
schönen Bilder ein Gefühl von Dankbarkeit hindurchfließen lassen, durch alle
schmerzlichen die Bereitschaft zur Vergebung. Regelmäßig geübt, wird diese
Atemmeditation sehr bald ihre Wirkung zeigen: Wir leben bewusster und freier
und schaffen uns innerlich immer wieder Raum für Neues.



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